22.2.13

„Ich will meine Meinung sagen“


..., stand auf dem Aufkleber. Er pappte auf einer Art Blechkiste mit Henkel. Diesen Koffer schleppte ich während meines Studiums viele Jahre mit mir herum. Der Blechkoffer mit seiner Aufschrift war somit gleichzeitig Medium und Objekt einer Meinungsäußerung, die im Grunde nicht meine war, denn das Klebeetikett wurde ja von jemand anderem hergestellt. 

Metallkoffer, Uni Düsseldorf, Studieren und Spazieren
Zeitzeugnis: Die Uni, der Koffer, das Etikett (v.l.n.r.)
Die von mir auf dem Koffer drapierte Meinungsäußerung war also eine Kopie, die zudem nur meine Meinung war, wenn ich den Koffer trug. Hatte ihn jemand anderes in der Hand, wechselte auch die Meinung ihren Besitzer. Der schiere Wunsch, die Meinung zu sagen, war also austauschbar und leicht zu vervielfältigen. Dahinter aber steckt nichts, solange sich die Meinungsäußerung darin erschöpft, seine Meinung sagen zu wollen. 

Neben der permanenten Ankündigung, dass meine Meinung gleich komme, hatte der Blechkoffer noch eine zweite Funktion: Senkrecht aufgestellt, schuf er in seinem Sichtschatten eine Privatsphäre, bot Schutz vor Beobachtung. Vorne kündete dann der Aufkleber der Metallwand, ich wolle meine Meinung sagen, und hinter ihr konnte ich verschwinden und schweigen.

Wer sich nun bei dieser Beschreibung an die Dynamik sozialer Netze erinnert fühlt, in denen ein Großteil aller Mitteilungen darin besteht, dass die Menschen ankündigen, etwas sagen zu wollen, was sich dann darin erschöpft, dass Sie fremde Äußerungen kopieren oder verlinken, wobei viele noch hinter der Barriere angenommener Nutzernamen Schutz suchen, könnte auf die Idee kommen, dass sich nichts geändert habe. 

Und vielleicht ist das auch so, bis auf einen kleinen Aspekt: Wenn ich mich einst tatsächlich entschloss, meine Meinung zu sagen, musste ich aus der Anonymitätsbarriere des Koffer auftauchen. Das gab dann der Meinung ein Gesicht, dass eine echte Person für das steht, was ich zu sagen habe. Gleichgültig ob die geäußerte Meinung fundiert war oder sogar Zustimmung fand, ein unveräußerliches Gewicht fand sie zumindest als Äußerung einer realen Person. 

Wo aber Menschen sich nicht trauen, ihre eigene Meinung persönlich zu autorisieren, ohne dass politische oder ökonomische Zwänge ihnen Gründe für dieses Handeln geben, sind diese Meinungen nicht mehr als Aufkleber auf Blechkisten.

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